DEKRET
PERFECTAE CARITATIS
ÜBER DIE ZEITGEMÄSSE ERNEUERUNG DES ORDENSLEBENS
1. Die Heilige Synode hat bereits in
der Konstitution, die mit den Worten "Das Licht der Völker" beginnt, dargelegt,
daß das Streben nach vollkommener Liebe auf dem Weg der evangelischen Räte in
Lehre und Leben des göttlichen Meisters seinen Ursprung hat und wie ein
leuchtendes Zeichen des Himmelreiches erscheint. Sie möchte nun von der
Lebensordnung der Institute handeln, in denen Keuschheit, Armut und Gehorsam
gelobt werden, und für deren zeitbedingte Erfordernisse Vorsorge treffen.
Von Anfang an gab es in der Kirche
Männer und Frauen, die durch die Befolgung der evangelischen Räte Christus in
größerer Freiheit nachzufolgen und ihn ausdrücklicher nachzuahmen verlangten und
die - jeder auf seine Weise - ein Leben führten, das Gott geweiht war. Viele
wählten unter dem Antrieb des Heiligen Geistes ein Einsiedlerleben, andere gaben
den Anstoß zu religiösen Gemeinschaften, die von der Kirche kraft ihrer
Vollmacht gern unterstützt und bestätigt wurden. So erwuchs nach göttlichem
Ratschluß eine wunderbare Vielfalt von Ordensgemeinschaften, die sehr dazu
beitrug, daß die Kirche nicht nur zu jedem guten Werk gerüstet (vgl. 2 Tim
3,17) und für den Dienst am Aufbau des Leibes Christi (vgl. Eph 4,12)
bereit ist, sondern auch mit den mannigfachen Gnadengaben ihrer Kinder wie eine
Braut für ihren Mann geschmückt dasteht (vgl. Offb 21,2) und die
vielgestaltige Weisheit Gottes kundtut (vgl. Eph 3,10).
Inmitten der Vielfalt von Gnadengaben
weihen sich alle, die von Gott zum Leben der evangelischen Räte berufen werden
und dieses aufrichtig geloben, in besonderer Weise dem Herrn, indem sie Christus
nachfolgen, der selbst jungfräulich und arm gelebt (vgl. Mt 8,20; Lk
9,58) und durch seinen Gehorsam bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,8)
die Menschen erlöst und geheiligt hat. Von der Liebe gedrängt, die der Heilige
Geist in ihre Herzen ausgegossen hat (vgl. Röm 5,5), leben sie mehr und
mehr für Christus und seinen Leib, die Kirche (vgl. Kol 1,24). Je inniger
sie also durch solche Selbsthingabe, die das ganze Leben umfaßt, mit Christus
vereinigt werden, desto reicher wird das Leben der Kirche und desto fruchtbarer
deren Apostolat.
Damit aber der besondere Wert eines
durch die Verpflichtung auf die evangelischen Räte geweihten Lebens und dessen
notwendige Aufgabe der Kirche in der gegenwärtigen Zeit zu größerem Nutzen
gereiche, erläßt diese Heilige Synode die folgenden Bestimmungen. Sie
berücksichtigen aber nur die allgemeinen Grundsätze einer zeitgemäßen Erneuerung
der Ordensgemeinschaften sowie - unter Wahrung ihrer jeweiligen Eigenart - der
Gesellschaften des gemeinsamen Lebens ohne Gelübde und der Weltinstitute. Die
besonderen Richtlinien für ihre rechte Auslegung und Anwendung sind nach dem
Konzil von der zuständigen Autorität zu erlassen.
Erneuerung und Anpassung
2. Zeitgemäße Erneuerung des
Ordenslebens heißt: ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens
und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute, zugleich aber deren
Anpassung an die veränderten Zeitverhältnisse. Diese Erneuerung ist unter dem
Antrieb des Heiligen Geistes und unter der Führung der Kirche nach folgenden
Grundsätzen zu verwirklichen:
a) Letzte Norm des Ordenslebens ist die
im Evangelium dargelegte Nachfolge Christi. Sie hat allen Instituten als oberste
Regel zu gelten.
b) Es ist der Kirche zum Nutzen, daß
die Institute ihre Eigenart und ihre besondere Aufgabe haben. Darum sind der
Geist und die eigentlichen Absichten der Gründer wie auch die gesunden
Überlieferungen, die zusammen das Erbe jedes Institutes ausmachen, treu zu
erforschen und zu bewahren.
c) Alle Institute sollen am Leben der
Kirche teilnehmen und sich entsprechend ihrem besonderen Charakter deren
Erneuerungsbestrebungen - auf biblischem, liturgischem, dogmatischem, pastoralem,
ökumenischem, missionarischem und sozialem Gebiet - zu eigen machen und sie nach
Kräften fördern.
d) Die Institute sollen dafür sorgen,
daß ihre Mitglieder die Lebensverhältnisse der Menschen, die Zeitlage sowie die
Erfordernisse der Kirche wirklich kennen, damit sie die heutige Welt im Licht
des Glaubens richtig beurteilen und den Menschen mit lebendigem apostolischem
Eifer wirksamer helfen können.
e) Da das Ordensleben durch die
Verpflichtung auf die evangelischen Räte vor allem anderen auf die Nachfolge
Christi und die Vereinigung mit Gott abzielt, ist ernst zu bedenken, daß auch
die besten Anpassungen an die Erfordernisse unserer Zeit ohne geistliche
Erneuerung unwirksam bleiben; diese hat darum auch bei aller Förderung äußerer
Werke immer das Wesentliche zu sein.
3. Lebensweise, Gebet und Arbeit müssen
den körperlichen und seelischen Voraussetzungen der Menschen von heute, aber
auch - soweit die Eigenart des Instituts es verlangt - den Erfordernissen des
Apostolats, den Ansprüchen der Kultur, der sozialen und wirtschaftlichen Umwelt
entsprechen. Das gilt überall, vor allem in den Missionsgebieten. Nach denselben
Kriterien ist auch die Art und Weise der Leitung in den Instituten zu
überprüfen. Darum sind die Konstitutionen, die "Direktorien", die
Gebräuchebücher, Gebetbücher, Zeremonienbücher und dergleichen entsprechend
durchzusehen und nach Ausscheiden veralteter Bestimmungen mit den Dokumenten
dieser Heiligen Synode in Einklang zu bringen.
4. Zur wirksamen Erneuerung und echten
Anpassung ist die Zusammenarbeit aller Mitglieder eines Instituts unerläßlich.
Richtlinien für die zeitgemäße Erneuerung festzusetzen, Vorschriften zu erlassen
und hinreichende, kluge Erprobung zu gestatten ist jedoch einzig Sache der
rechtmäßigen Autoritäten, vor allem der Generalkapitel, unbeschadet der
Gutheißung durch den Heiligen Stuhl oder die Ortsordinarien, wo es die
Rechtsnormen erfordern. Die Obern jedoch sollen in dem, was die Belange des
ganzen Instituts betrifft, ihre Untergebenen in geeigneter Weise befragen und
hören. Um Wünsche und Vorschläge für die zeitgemäße Erneuerung der Nonnenklöster
zu erlangen, können auch Sitzungen der Föderationen oder andere rechtmäßige
Zusammenkünfte einberufen werden. Alle sollen sich indes bewußt bleiben, daß die
Erneuerung mehr von einer gewissenhaften Beobachtung der Regel und der
Konstitutionen als von einer Vermehrung der Vorschriften zu erhoffen ist.
Gemeinsame Merkmale aller Formen
religiösen Lebens
5. Die Mitglieder aller Institute
sollen sich bewußt bleiben, daß sie durch ihr Gelöbnis der evangelischen Räte
vor allem einem göttlichen Ruf geantwortet haben und dadurch nicht nur der Sünde
gestorben sind (vgl. Röm 6,1), sondern auch der Welt entsagt haben, um
Gott allein zu leben; denn sie haben ihr ganzes Leben seinem Dienst
überantwortet. Das begründet gleichsam eine besondere Weihe, die zutiefst in der
Taufweihe wurzelt und diese voller zum Ausdruck bringt. Da aber diese
Selbsthingabe von der Kirche angenommen wurde, sollen sie sich auch zu deren
Dienst verpflichtet wissen. Solches Übereignetsein an Gott muß sie immer mehr zu
praktischer Tugend drängen, besonders zu Demut und Gehorsam, Tapferkeit und
Keuschheit, die ihnen Anteil geben an Christi Erniedrigung (vgl. Phil
2,7) und zugleich an dessen Leben im Geist (vgl. Röm 8,1-13). Die
Ordensleute sollen also, treu ihren Gelübden, alles um Christi willen aufgeben
(vgl. Mk 10,28) und ihm nachfolgen (vgl. Mt 19,21): Er muß für sie
das "Eine Notwendige" sein (vgl. Lk 10,42). Aufsein Wort hörend (vgl.
Lk 10,39), sollen sie um seine Sache besorgt sein (vgl. 1 Kor 7,32).
Darum müssen die Mitglieder aller Institute, da sie zuerst und einzig Gott
suchen, die Kontemplation, durch die sie ihm im Geist und im Herzen anhangen,
mit apostolischer Liebe verbinden, die sie dem Erlösungswerk zugesellt und zur
Ausbreitung des Reiches Gottes drängt.
Primat des geistlichen Lebens
6. Wer sich auf die evangelischen Räte
verpflichtet, muß vor allem Gott, der uns zuvor geliebt hat (vgl. 1 Joh
4,10), suchen und lieben und sich in allen Lebensumständen bemühen, ein mit
Christus verborgenes Leben (vgl. Kol 3,3) zu führen. Daraus fließt die
Nächstenliebe zum Heil der Welt und zum Aufbau der Kirche und erhält neuen
Antrieb. Diese Liebe beseelt und leitet auch selbst wieder die Verwirklichung
der evangelischen Räte. Darum müssen die Mitglieder der Institute den Geist des
Gebetes und das Gebet selbst aus den echten Quellen der christlichen Frömmigkeit
schöpfen und mit beharrlichem Eifer pflegen. Täglich sollen sie die Heilige
Schrift zur Hand nehmen, um durch Lesung und Betrachtung des Gotteswortes "die
überragende Erkenntnis Jesu Christi" (Phil 3,8) zu gewinnen. Im Geist der
Kirche sollen sie die heilige Liturgie, zumal das heilige Mysterium der
Eucharistie, mit innerer und äußerer Anteilnahme feiern und aus diesem
überreichen Quell ihr geistliches Leben nähren. So werden sie, am Tisch des
göttlichen Wortes und des heiligen Altares gespeist, Christi Glieder brüderlich
lieben, den Hirten in Hochachtung und Liebe begegnen, mehr und mehr mit der
Kirche leben und fühlen und sich deren Sendung ganz überantworten.
Das kontemplative Leben
7. Die gänzlich auf die Kontemplation
hingeordneten Institute, deren Mitglieder in Einsamkeit und Schweigen,
anhaltendem Gebet und hochherziger Buße für Gott allein da sind, nehmen - mag
die Notwendigkeit zum tätigen Apostolat noch so sehr drängen - im mystischen
Leib Christi, dessen "Glieder nicht alle den gleichen Dienst verrichten" (Röm
12,4), immer eine hervorragende Stelle ein. Sie bringen Gott ein erhabenes
Lobopfer dar und schenken dem Volk Gottes durch überreiche Früchte der
Heiligkeit Licht, eifern es durch ihr Beispiel an und lassen es in
geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit wachsen. So sind sie eine Zier der
Kirche und verströmen himmlische Gnaden. Allerdings muß ihre Lebensweise nach
den genannten Grundsätzen und Richtlinien zeitgemäßer Erneuerung überprüft
werden, jedoch unter ehrfürchtiger Wahrung ihrer Trennung von der Welt und der
dem kontemplativen Leben eigenen Übungen.
Das aktive Leben
8. Zahlreich sind in der Kirche die
Kleriker- und Laieninstitute, die sich mannigfachen apostolischen Aufgaben
widmen. Ihre Gaben sind verschieden gemäß der ihnen verliehenen Gnade. Wer die
Gabe hat zu dienen, der diene; zu lehren, der lehre; zu mahnen, der ermahne; wer
spendet, tue es schlichten Sinnes; wer Barmherzigkeit übt, tue es in Freudigkeit
(vgl. Röm 12,5-8). "Vielfältig sind die Gnadengaben, aber es ist derselbe
Geist" (1 Kor 12,4). In diesen Instituten gehören die apostolische und
die caritative Tätigkeit zum eigentlichen Wesen des Ordenslebens. Sie ist ihnen
als ihr heiliger Dienst und als ihr Liebeswerk von der Kirche anvertraut und in
deren Namen auszuüben. Das ganze Ordensleben der Mitglieder muß darum von
apostolischem Geist durchdrungen und alle apostolische Arbeit vom Ordensgeist
geprägt sein. Damit also die Mitglieder in erster Linie ihrer Berufung zur
Christusnachfolge entsprechen und Christus selbst in seinen Gliedern dienen, muß
ihre apostolische Arbeit aus einer tiefen Verbundenheit mit ihm hervorgehen. So
wird die Gottes- und Nächstenliebe selbst gefördert. Deshalb müssen diese
Institute ihre Lebensart und ihr Brauchtum auf das von ihnen geübte Apostolat
einstellen. Das Ordensleben mit apostolischer Zielsetzung ist jedoch
vielgestaltig. Seine zeitgemäße Erneuerung hat darum diese Unterschiede zu
berücksichtigen, und das Leben der Mitglieder im Dienst Christi muß in den
einzelnen Instituten von den ihnen eigenen und entsprechenden Mitteln getragen
sein.
Das monastische und klösterliche
Leben
9. Die ehrwürdige Einrichtung des
monastischen Lebens, die sich im Laufe vieler Jahrhunderte um Kirche und
menschliche Gesellschaft hervorragende Verdienste erworben hat, soll im Osten
und Westen in ihrem echten Geist treu bewahrt werden und von Tag zu Tag heller
erstrahlen. Vornehmste Aufgabe der Mönche ist der demütig-hohe Dienst vor der
göttlichen Majestät innerhalb des klösterlichen Bereichs, ob sie sich nun in
Verborgenheit ganz der Gottesverehrung weihen oder nach ihrer Satzung eine
apostolische oder caritative Arbeit übernommen haben. Unter Wahrung ihrer
jeweiligen Eigenart sollen sie die alten, dem Wohl des Nächsten dienenden
Überlieferungen erneuern und sie den gegenwärtigen Bedürfnissen der Menschen so
anpassen, daß ihre Klöster gleichsam Pflanzstätten zur Auferbauung des
christlichen Volkes werden. Ebenso sollen jene Orden, die aufgrund ihrer Regel
oder ihrer Satzungen die apostolische Tätigkeit eng mit Chordienst und
monastischem Brauchtum verbinden, ihre Lebensweise so auf die Erfordernisse
ihres Apostolats abstimmen, daß sie ihre Lebensform, die dem besonderen Wohl der
Kirche dienen soll, treu bewahren.
Das religiöse Laienleben
10. Das Ordensleben der Laien, der
Männer wie der Frauen, verwirklicht in vollwertiger Weise den Stand der
Verpflichtung auf die evangelischen Räte. Es dient dem Seelsorgsauftrag der
Kirche in Jugenderziehung, Krankenpflege und anderen Diensten. Darum schätzt die
Heilige Synode es hoch ein, bestärkt die Mitglieder in ihrer Berufung und
fordert sie zur Anpassung ihrer Lebensweise an die heutigen Verhältnisse auf.
Die Heilige Synode erklärt, es stehe nichts im Wege, daß in Brüdergemeinschaften
nach Ermessen des Generalkapitels einige Mitglieder für den priesterlichen
Dienst in den eigenen Häusern die heiligen Weihen empfangen. Der Laiencharakter
des Institutes bleibt dabei unangetastet.
11. Obwohl die Weltinstitute keine
Ordensgemeinschaften sind, erfordern sie dennoch eine wahre und vollkommene, von
der Kirche gutgeheißene Verpflichtung zu einem Leben nach den evangelischen
Räten in der Welt. Diese Verpflichtung verleiht den in der Welt lebenden Männern
und Frauen, Laien und Klerikern, eine Weihe. Darum müssen auch sie das Streben
nach Ganzhingabe an Gott in vollkommener Liebe als ihre wichtigste Aufgabe
betrachten; die Institute ihrerseits müssen den ihnen eigenen und besonderen
Weltcharakter bewahren, damit sie dem Apostolat in der Welt und gleichsam von
der Welt her, das der Grund für ihre Entstehung war, überall wirksam gerecht zu
werden vermögen. Doch sollen sie wohl wissen, daß sie sich einer so schweren
Aufgabe nur unterziehen können, wenn ihre Mitglieder im religiösen und im
profanen Bereich sorgfältig geschult werden; nur so werden sie im wahren Sinn
zum Sauerteig der Welt, zur Stärkung und zum Wachstum des Leibes Christi. Ihre
Vorgesetzten sollen also ernstlich für die Unterweisung, zumal für die
geistliche, und ebenso für die Weiterbildung Sorge tragen.
Die drei religiösen Gelübde:
a) Keuschheit
12. Die Ehelosigkeit "um des
Himmelreiches willen" (Mt 19,12), zu der die Ordensleute sich
verpflichten, soll von ihnen als überaus hohe Gnadengabe angesehen werden. Sie
macht das Herz des Menschen in einzigartiger Weise für eine größere Liebe zu
Gott und zu allen Menschen frei (vgl. 1 Kor 7,32-35). Darum ist sie ein
besonderes Zeichen für die himmlischen Güter und für die Ordensleute ein
vorzügliches Mittel, sich mit Eifer dem göttlichen Dienst und den Werken des
Apostolats zu widmen. So rufen sie allen Christgläubigen jenen wunderbaren
Ehebund in Erinnerung, den Gott begründet hat und der erst in der kommenden Welt
ganz offenbar wird, den Ehebund der Kirche mit Christus, ihrem einzigen
Bräutigam.
Die Ordensleute sollen also treu zu
ihrem Gelöbnis stehen, den Worten des Herrn Glauben schenken, auf Gottes Hilfe
vertrauen und sich nicht auf die eigenen Kräfte verlassen, Abtötung üben und die
Sinne beherrschen. Auch die natürlichen Hilfen, die der seelischen und
körperlichen Gesundheit dienen, sollen sie nicht außer acht lassen. So werden
sie nicht durch irrige Meinungen, völlige Enthaltsamkeit sei unmöglich oder
stehe der menschlichen Entfaltung entgegen, beeindruckt und werden alles, was
die Keuschheit gefährdet, gleichsam instinktiv von sich weisen. Dazu sollen
alle, zumal die Obern, bedenken, daß die Keuschheit sicherer bewahrt wird, wenn
in der Gemeinschaft wahre Liebe herrscht und alle miteinander verbindet.
Die Beobachtung vollkommener
Enthaltsamkeit rührt sehr unmittelbar an tiefere Neigungen der menschlichen
Natur. Darum dürfen Kandidaten nur nach wirklich ausreichender Prüfung und nach
Erlangung der erforderlichen psychologischen und affektiven Reife zum Gelöbnis
der Keuschheit hinzutreten und zugelassen werden. Man soll sie nicht nur auf die
Gefahren für die Keuschheit aufmerksam machen, sondern sie anleiten, die
gottgewollte Ehelosigkeit zum Wohl der Gesamtperson innerlich zu übernehmen.
b) Armut
13. Die freiwillige Armut um der
Nachfolge Christi willen, als deren Zeichen sie heute besonders geschätzt wird,
sollen die Ordensleute mit liebendem Eifer pflegen und gegebenenfalls auch in
neuen Formen üben. Sie ist Anteil an Christi Armut, der unseretwegen arm wurde,
da er doch reich war, damit wir durch seine Entbehrung reich würden (vgl. 2
Kor 8,9; Mt 8,20). Die Ordensarmut beschränkt sich nicht auf die
Abhängigkeit von den Obern im Gebrauch der Dinge. Die Mitglieder müssen
tatsächlich und in der Gesinnung arm sein, da sie ihr Besitztum im Himmel haben
(vgl. Mt 6,20). Alle sollen sich - jeder in seiner Aufgabe - dem
allgemeinen Gesetz der Arbeit verpflichtet wissen. Im Erwerb aber dessen, was zu
ihrem Lebensunterhalt und für ihre Aufgaben notwendig ist, sollen sie alle
unangebrachte Sorge von sich weisen und sich der Vorsehung des himmlischen
Vaters anheimgeben (vgl. Mt 6,25).
Ordensgenossenschaften können in ihren
Konstitutionen den Mitgliedern den Verzicht auf ihr schon erworbenes oder noch
anfallendes Erbe erlauben. Auch die Institute als ganze sollen danach trachten,
ein gleichsam kollektives Zeugnis der Armut abzulegen, so wie es in ihrer Umwelt
angebracht ist, und von ihrem eigenen Besitz gern etwas beitragen für andere
Erfordernisse der Kirche und für den Unterhalt der Armen, die alle Ordensleute
im Herzen Christi lieben sollen (vgl. Mt 19,21; 25,34-46; Jak
2,15-16; 1 Joh 3,17). Die Ordensprovinzen und die einzelnen Häuser sollen
sich gegenseitig materiell aushelfen, indem jene, die mehr haben, diejenigen,
die Not leiden, unterstützen. Obschon die Institute, unbeschadet der Regeln und
Konstitutionen, das Recht auf Besitz alles dessen haben, was für ihr Leben und
ihre Arbeiten notwendig ist, sollen sie doch allen Schein von Luxus, von
ungeordnetem Gewinnstreben und von Güteranhäufung vermeiden.
c) Gehorsam
14. Im Gelöbnis des Gehorsams bringen
die Ordensleute die volle Hingabe ihres Willens gleichsam als Opfer ihrer selbst
Gott dar. Dadurch werden sie fester und sicherer dem göttlichen Heilswillen
geeint. Unter der Anregung des Heiligen Geistes unterstellen sie sich im Glauben
den Obern, die Gottes Stelle vertreten, nach dem Beispiel Jesu Christi, der in
die Welt kam, um den Willen des Vaters zu erfüllen (vgl. Joh 4,34; 5,30;
Hebr 10,7; Ps 39,9), und in der Annahme der Knechtsgestalt (Phil
2,7) aus seinem Leiden Gehorsam erlernte (vgl. Hebr 5,8). Durch die
Obern werden sie zum Dienst an allen Brüdern in Christus bestellt, wie auch
Christus selbst im Gehorsam gegen den Vater den Brüdern diente und sein Leben
als Lösepreis für viele dahingab (vgl. Mt 20,28; Joh 10,14-18). So
sind sie dem Dienst der Kirche enger verbunden und streben danach, zum Vollmaß
der Fülle Christi (vgl. Eph 4,13) zu gelangen.
Die Untergebenen sollen also im Geist
des Glaubens und der Liebe zum Willen Gottes gemäß der Regel und den
Konstitutionen den Obern demütig Gehorsam leisten, und zwar so, daß sie in der
Ausführung dessen, was angeordnet ist, und in der Erfüllung der ihnen
anvertrauten Aufgaben die eigene Verstandes- und Willenskraft einsetzen und die
Gaben, die ihnen Natur und Gnade verliehen haben, gebrauchen, im Wissen, daß sie
damit zur Auferbauung des Leibes Christi nach Gottes Absicht beitragen. So führt
der Ordensgehorsam, weit entfernt, die Würde der menschlichen Person zu mindern,
diese durch die größer gewordene Freiheit der Kinder Gottes zu ihrer Reife.
Die Obern aber, die für die ihnen
anvertrauten Seelen Rechenschaft ablegen müssen (vgl. Hebr 13,17), sollen
in der Erfüllung ihres Amtes auf den Willen Gottes horchen und ihre Autorität im
Geist des Dienstes an den Brüdern ausüben, so daß sie Gottes Liebe zu jenen zum
Ausdruck bringen. Sie sollen ihre Untergebenen als Kinder Gottes und in Achtung
vor der menschlichen Person leiten und deren freiwillige Unterordnung fördern.
Darum sollen sie ihnen besonders die geschuldete Freiheit in bezug auf die
Beichte und die Gewissensleitung lassen. Sie sollen ihre Untergebenen dahin
führen, daß sie bei der Durchführung des ihnen Aufgetragenen und bei der
Inangriffnahme neuer Aufgaben in aktivem und verantwortlichem Gehorsam
mitarbeiten. Sie sollen sie deshalb auch bereitwillig anhören und ihr Mitplanen
zum Wohl des Instituts und der Kirche fördern, bei voller Wahrung freilich ihres
Rechtes, zu entscheiden und anzuordnen, was zu tun ist.
Die Kapitel und Räte sollen das ihnen
für die Leitung anvertraute Amt gewissenhaft ausüben und je auf ihre Weise die
sorgende Teilnahme aller Mitglieder am Wohl des ganzen Instituts zum Ausdruck
bringen.
Das Gemeinschaftsleben
15. Das Leben in Gemeinschaft nach dem
Beispiel der Urkirche, in der die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele
war (vgl. Apg 4,32), soll, genährt durch die Lehre des Evangeliums, durch
die heilige Liturgie, vor allem die Eucharistie, in Gebet und Gemeinsamkeit des
Geistes beharrlich gepflegt werden (vgl. Apg 2,42). Die Ordensleute
sollen als Glieder Christi im brüderlichen Umgang einander mit Achtung
zuvorkommen (vgl. Röm 12,10); einer trage des anderen Last (vgl. Gal
6,2). Denn durch die Liebe Gottes, die durch den Heiligen Geist in den
Herzen ausgegossen ist (vgl. Röm 5,5), erfreut sich eine Gemeinschaft,
die wie eine wahre Familie im Namen des Herrn beisammen ist, seiner Gegenwart
(vgl. Mt 18,20). Die Liebe aber ist die Erfüllung des Gesetzes (vgl.
Röm 13,10) und das Band der Vollkommenheit (vgl. Kol 3,14); in ihr
wissen wir, daß wir aus dem Tod in das Leben hinübergeschritten sind (vgl. 1
Joh 3,14). Ja die Einheit der Brüder macht das Kommen Christi offenbar (vgl.
Joh 13,35; 17,21), und es geht von ihr eine große apostolische Kraft aus.
Damit aber das brüderliche Band unter
den Mitgliedern noch inniger werde, sollen diejenigen, die man als Konversen,
Kooperatoren oder ähnlich bezeichnet, eng mit dem Leben und Arbeiten der
Gemeinschaft verbunden werden. In Frauengemeinschaften ist dafür zu sorgen, daß
man zu einem einzigen Stand von Schwestern kommt, außer wenn die Umstände es
wirklich anders nahelegen. In dem Fall soll aber nur jener Unterschied unter den
Mitgliedern erhalten bleiben, den die Verschiedenheit andersgearteter Arbeiten
erfordert, in denen die Schwestern aufgrund besonderer göttlicher Berufung oder
besonderer Eignung tätig sind.
Mönchsklöster und andere
Männergemeinschaften, die keine reinen Laieninstitute sind, können entsprechend
ihrer Eigenart und nach ihren Konstitutionen Kleriker und Laien aufnehmen, in
gleicher Weise, mit den gleichen Rechten und Pflichten, abgesehen von denen, die
sich aus den heiligen Weihen ergeben.
Die Klausur der Nonnen
16. Die päpstliche Klausur der Nonnen
des rein beschaulichen Lebens soll nicht angetastet werden. Sie ist aber den
zeitbedingten und örtlichen Umständen anzupassen; dabei sind überlebte Gebräuche
abzuschaffen, wozu aber die Wünsche der Klöster selbst gehört werden sollen. Die
übrigen Nonnen aber, die sich nach ihren Satzungen äußeren Apostolatswerken
widmen, sollen von der päpstlichen Klausur ausgenommen sein, damit sie die ihnen
anvertrauten apostolischen Aufgaben besser erfüllen können; die Klausur aber
bleibt bestehen; sie ist von den Konstitutionen festzulegen.
Das Ordensgewand
17. Das Ordensgewand als Zeichen der
Weihe sei einfach und schlicht, arm und zugleich schicklich, dazu den
gesundheitlichen Erfordernissen, den Umständen von Zeit und Ort sowie den
Erfordernissen des Dienstes angepaßt. Ein Gewand, das diesen Richtlinien nicht
entspricht, muß geändert werden. Das gilt sowohl für Männer wie für Frauen.
Die Erneuerung der religiösen
Ausbildung
18. Die zeitgemäße Erneuerung der
Institute hängt wesentlich von der Ausbildung der Mitglieder ab. Daher sollen
auch die Nichtkleriker und die Ordensfrauen nicht unmittelbar nach dem Noviziat
mit apostolischen Arbeiten beschäftigt werden; vielmehr ist ihre religiöse und
apostolische, ihre theoretische und praktische Ausbildung, auch durch Erwerb der
entsprechenden Zeugnisse, in geeigneten Häusern angemessen weiterzuführen.
Die Anpassung des Ordenslebens an die
Erfordernisse unserer Zeit darf sich nicht in Äußerlichkeiten erschöpfen. Damit
diejenigen, die nach ihrer Zielsetzung sich äußeren Apostolatswerken widmen,
ihrer Aufgabe wirklich gewachsen sind, sollen sie entsprechend ihren geistigen
Fähigkeiten und ihrer Veranlagung in geeigneter Form über die Gepflogenheiten,
das Denken und Empfinden der heutigen Gesellschaft unterwiesen werden. Die
Ausbildung soll so sein, daß ihre einzelnen Elemente aufeinander abgestimmt sind
und dadurch das Leben der Mitglieder einheitlich gestaltet wird.
Diese selbst sollen sich aber ihr
ganzes Leben hindurch ernsthaft um die geistliche, wissensmäßige und praktische
Weiterbildung bemühen; die Obern sollen ihnen dazu nach Kräften Gelegenheit,
Hilfsmittel und Zeit geben. Die Obern haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß
diejenigen, denen die Ausbildung obliegt, die geistlichen Leiter und Lehrkräfte,
aufs sorgfältigste ausgewählt und gründlich vorbereitet werden.
19. Bei Gründungen neuer Institute soll
man ernstlich prüfen, ob diese nötig oder wenigstens von wirklichem Nutzen und
ob sie entwicklungsfähig sind, damit nicht voreilig unzweckmäßige oder kaum
lebensfähige Institute entstehen. In den Missionsgebieten möge man mit
besonderer Sorge solche Formen des Ordenslebens fördern und pflegen, die dem
Charakter und den Sitten der Bewohner des Landes wie auch den örtlichen
Gebräuchen und Lebensbedingungen Rechnung tragen.
Die Werke der Institute
20. Die Institute sollen ihre eigenen
Arbeiten beibehalten und durchführen, sie aber den zeitbedingten und örtlichen
Bedürfnissen durch Anwendung geeigneter, auch neuer Mittel anpassen. Dabei
sollen sie auf den Nutzen der Gesamtkirche und der Diözesen schauen.
Tätigkeiten, die dem Geist und der wahren Eigenart des Instituts heute kaum mehr
entsprechen, sind aufzugeben. Die Ordensinstitute sollen ihren missionarischen
Geist bewahren und entsprechend ihrer Eigenart den heutigen Erfordernissen
anpassen, damit das Evangelium bei allen Völkern wirksamer verkündet werde.
Institute und Klöster im
Niedergang
21. Instituten und Klöstern, die nach
Rücksprache mit den zuständigen Ortsordinarien und nach dem Urteil des Heiligen
Stuhles kein fruchtbares Wirken mehr erhoffen lassen, soll die weitere Aufnahme
von Novizen verwehrt werden; soweit möglich, sind sie mit einem anderen,
lebenskräftigeren Institut oder Kloster, das ihnen nach Zielsetzung und Geist
nahesteht, zu vereinigen.
Die Föderation der Ordensleute
22. Wo es angebracht erscheint, sollen
Institute und Klöster eigenen Rechts, die irgendwie zur gleichen Ordensfamilie
gehören, mit Gutheißung des Heiligen Stuhles Föderationen untereinander
anstreben oder Zusammenschlüsse, wenn sie nahezu gleiche Satzungen haben und
ihre Gebräuche vom selben Geist beseelt sind - zumal wenn ihre Mitgliederzahl
sehr gering ist -, oder Arbeitsgemeinschaften, wenn sie sich den gleichen oder
ähnlichen äußeren Aufgaben widmen.
23. Die vom Heiligen Stuhl errichteten
Konferenzen oder Räte der Höheren Obern, die zur besseren Verwirklichung des
Zieles der einzelnen Institute, zum wirksameren Einvernehmen hinsichtlich des
Wohles der Kirche, zur gerechteren Verteilung der Mitarbeiter im Evangelium in
einem bestimmten Gebiet sowie zur Behandlung gemeinsamer Belange der Ordensleute
sehr dienlich sein können, sind zu fördern. In der Ausübung des Apostolats ist
auf entsprechende Abstimmung und Zusammenarbeit mit den Bischofskonferenzen zu
achten. Ähnliche Obernkonferenzen können auch für die Weltinstitute errichtet
werden.
Die Wahl der Berufungen
24. Priester und christliche Erzieher
sollen sich ernstlich darum bemühen, daß die Ordensberufe, sorgfältig und
gewissenhaft ausgewählt, ein neues Wachstum erfahren, das den Erfordernissen der
Kirche voll entspricht. Auch bei der regelmäßigen Verkündigung ist öfter auf die
evangelischen Räte und den Eintritt in den Ordensstand hinzuweisen. Die Eltern
sollen eine Berufung ihrer Kinder zum Ordensleben durch eine christliche
Erziehung pflegen und schützen. Die Institute haben das Recht, ihre Gemeinschaft
bekannt zu machen, um Berufe zu fördern und Kandidaten zu suchen; das soll
jedoch mit der notwendigen Klugheit und unter Wahrung der Richtlinien des
Heiligen Stuhles und der Ortsordinarien geschehen. Die Ordensleute aber sollen
sich bewußt sein, daß das Beispiel ihres eigenen Lebens die beste Empfehlung
ihres Instituts und eine Einladung zum Ordensleben ist.
Schlusswort
25. Die Institute, für die diese Normen
einer zeitgemäßen Erneuerung aufgestellt sind, mögen bereiten Herzens ihrer
göttlichen Berufung und ihrer Aufgabe in der Kirche zur gegenwärtigen Stunde
entsprechen. Die Heilige Synode schätzt ihren Stand des jungfräulichen, armen
und gehorsamen Lebens, dessen Vorbild Christus der Herr selbst ist, und setzt
eine große Hoffnung auf die Fruchtbarkeit ihrer verborgenen und offenkundigen
Werke. So mögen alle Ordensleute durch die Reinheit des Glaubens, durch Liebe zu
Gott und zum Nächsten, durch die liebende Hinneigung zum Kreuz und die Hoffnung
auf die künftige Herrlichkeit Christi frohe Botschaft in der ganzen Welt
verbreiten, auf daß ihr Zeugnis allen kund und unser Vater im Himmel
verherrlicht werde (Mt 5,16). So werden sie auf die Fürsprache der
gütigen Gottesmutter und Jungfrau Maria, "deren Leben für alle eine Lehre ist"
1, täglich wachsen und reichere Frucht des Heiles bringen.
28. Oktober 1965
Anmerkungen:
1) Ambrosius, De Virginitate II
2,15.
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